Die Fifa als AG? Was sagt Büchel dazu?

veröffentlicht am Mittwoch, 24.06.2015

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Die Fifa und der Irrglaube von der AG

Christian Zürcher.

Welche Rechtsform würde Korruption und Günstlingswirtschaft im Weltfussballverband erschweren? Die populärste Lösung kaum.

Sie flogen erste Klasse. Sie reisten im feinen Tuch. Sie logierten an den besten Adressen. Die 209 Landesvertreter der nationalen Fussballverbände kamen Ende Mai nach Zürich, um Kraft ­ihres ­Amtes am Fifa-Kongress teilzu­nehmen. Ob aus Deutschland oder England, ob von den Komoren oder den Fidschi-Inseln – sie alle waren ausgerüstet mit einer Stimme, um dem Verein Fifa einen Präsidenten zu wählen. Das Hallenstadion war hergerichtet für eine grosse Zeremonie, doch es kam anders: Die Polizei verhaftete im Vorfeld sieben Funktionäre wegen Korruptionsverdachts. Ein Sturm der Entrüstung kam über die Fifa, die umstrittenen WM-Vergaben nach Russland und Katar rückten erneut ins Zentrum.

Natürlich, die Fifa hatte bereits zuvor ein Transparenz- und ein Korruptionsproblem. Doch nun fegten die alten ­Erkenntnisse mit neuer, noch nie dagewesener Vehemenz über sie hinweg: Es braucht Reformen! Doch wie soll das gehen? Soll die Politik sie diktieren? Oder ringen sich die Kongressmitglieder dazu durch? Ausgerechnet sie, deren Verbände jahrein, jahraus vom System profitieren? Ausgerechnet von ihnen würde verlangt, dass sie Reformen einleiten und ihre eigenen Rechte beschneiden.

Eine der Hauptfragen in der Reform-debatte lautet: Darf eine Organisation mit milliardenschweren Umsätzen wie die Fifa die gleiche Rechtsform haben wie etwa die Bienenzüchter vom unteren Tösstal? Auch der Fussballweltverband ist wie die rund 50 anderen internationalen und in der Schweiz ansässigen Sportverbände als Verein registriert.

Verbände als Aktionäre

Den grösseren unter ihnen will die politische Linke diesen Status absprechen und eine Aktiengesellschaft (AG) als Organisationsform vorschreiben. Als normale Firmen würden für sie höhere Transparenzvorschriften gelten, was wiederum förderlich im Kampf gegen die Korruption wäre, so der Gedanke.

Im Fall der Fifa, radikal durch­gespielt, würden:

• aus den 209 Nationalverbänden ­neu Aktionäre

• aus den 25 Exekutivmitgliedern neu Verwaltungsräte

• aus den 10 Fifa-Direktoren und dem Generalsekretär neu Mitglieder der Geschäftsleitung (siehe Grafik)

Neu würden die Aktionäre den Verwaltungsrat wählen und ihm die Decharge erteilen (bislang bestimmten die Konföderationen das Exekutivkomitee). Die Anforderungen an die Corporate Governance, die Regeln für gute Unternehmensführung, würden zunehmen, so ein weiterer Gedanke – allerdings hat die Fifa bereits entsprechende Gremien installiert (Ethik- und Audit-Kommission).

Der Irrtum von der Transparenz

Nur: Die Gefahr der Korruption ­wäre mit einer AG nicht gebannt. Korruptions­experte Daniel Thelesklaf hält es für naiv, zu glauben, dass die Fifa in einer AG anders funktionieren würde. Ähnlich sieht es Roland Rino Büchel, SVP-Nationalrat und ehemaliger Fifa-Marketing-Mit­arbeiter: Ob nun ein Aktionär oder ein Mitglied seine Hand zur Abstimmung hebe, mache kaum einen Unterschied. «Entscheidend ist seine Haltung.»

Heute sind die Jahresberichte bei kaum einem Verband öffentlich. Die Fifa oder das Internationale Olympische ­Komitee (IOK) legen ihre Jahresrechnungen aber freiwillig offen, die meisten anderen Verbände hingegen zeigen keine Abschlüsse.

Der Glaube, eine AG fördere die Transparenz, ist ein weiterer Irrtum. Eine AG ist zwar von Gesetzes wegen verpflichtet, einen Jahresabschluss zu erstellen, doch veröffentlichen muss sie diesen nicht. Ebenso zwingt das Rechnungslegungsgesetz Vereine mit einer Bilanzsumme ab 10 Millionen Franken oder einem Umsatz ab 20 Millionen, eine Jahresrechnung zu erstellen und der Steuerbehörde abzugeben.

Grosse Unterschiede zwischen AG und Verein gibt es also in diesem Bereich nicht.

Keine grossen Differenzen zwischen einem Verein und einer AG gebe es auch in Fragen der Haftung, sagt Aktienrechtsprofessor Hans-Ueli Vogt. Er betont zudem, dass ein Verein seinen Mitgliedern verbindliche Pflichten auf­erlegen kann. Dies sei bei der AG nur ­beschränkt möglich, für einen Sport­verband aber wichtig, damit er seine ­Regeln weltweit durchsetzen könne. «Der Aktionär muss lediglich das Geld für seine Aktien bezahlen, zu mehr ist er durch das Gesetz oder die Statuten nicht verpflichtet», sagt Vogt. «Man müsste der AG also sehr viel Zwang antun, damit sie in Sachen Pflichten die gleichen Eigenschaften hat wie ein Verein.» Es sei daher fraglich, ob ein Weltverband wie die Fifa diesbezüglich mit einer AG ­besser geführt werde.

Vereinsrecht verschärfen

Was sagt die Fifa zu einem Wechsel zur AG? Ausser einem höheren Steuersatz (siehe Box) würde eine andere Rechtsform «keine grundsätzliche Änderung in Bezug auf die Unternehmensrichtlinien» bedeuten, erklärt der Verband.

Das Fifa-Statement übersetzt, heisst, der Weg zur Transparenz führt nur über die Selbstregulierung. Wie sieht es ­ damit in der Praxis aus? Zwar publiziert die Fifa ihre Jahresrechnung in IFRS, ­einem internationalen Rechnungs­legungsstandard, doch die Fifa hat es unlängst abgelehnt, dass etwa die Gehälter offengelegt, die Stimmen der WM-Vergabe öffentlich gemacht oder Amtszeiten beschränkt werden. Das mag im Zusammenhang damit stehen, dass grosse Änderungen von ­einer Dreiviertelmehrheit des Fifa-Kongresses an­genommen werden müssen.

Aus diesem Grund sagt Claude ­Stricker, Chef des Thinktank Aists, der Studien zu Sportverbänden verfasst: «Genauso wie der Staat den Sport­verbänden ein Steuerprivileg zubilligt, kann er ihnen Auflagen machen.» Stricker denkt an eine Pflicht zur Offen­legung von Jahresrechnung und Löhnen, er befürwortet eine Alterslimite und eine Amtszeitbeschränkung für Exekutiv­mitglieder und Fifa-Direktoren. Alles mit dem Ziel, Transparenz zu fördern und Filz zu verhindern. Es ist ein Weg, den SP-Nationalrat Cédric Wermuth unterstützt: «Die Regelung über das Vereinsrecht ist wohl das nächst­liegende. Hier könnte man auch steuern, dass nur die grössten und reichsten Verbände ­davon betroffen wären.»

Die Aktiengesellschaft als Lösung allen Übels wird also überschätzt. Ein ­etwas abgeschwächter Vorschlag kommt von Wermuths Parteikollege Daniel ­Jositsch. Er befürwortet, dass die Fifa Bereiche wie die Förderung des Fussballs in Drittweltländern im Verein belässt, ihre kommerziellen Aktivitäten aber ausgliedert in Aktiengesellschaften. «Denn die Rechtsform Verein entspricht bei einer WM-Organisation schlicht nicht mehr der Realität», sagt Jositsch. Dass sich so das Korruptionsproblem lösen könnte, glaubt Jositsch nicht: «Doch die Fifa wäre zeitgemäss und sauber organisiert.» Zudem würden die Einnahmen nach den Steuersätzen der AG besteuert.

Zwar besitzt die Fifa bereits heute elf AGs in Bereichen wie Ticketing oder ­Hotellerie, die kommerziellen Aktivitäten werden aber weiterhin «durch den Verein Fifa ausgeübt», sagt die Fifa. Welcher Teil des 2-Milliarden-Umsatzes 2014 von den AGs erwirtschaftet wurde, will die Fifa nicht ­sagen, sie hätten aber eine «unterstützende Funktion».

Gewichtete Stimmen als Lösung

Neben der Rechtsform gibt es aber auch die Frage des Stimmrechts. Für viele Fifa-Kritiker ist das «Ein Land, eine Stimme»-Prinzip die Quelle der meisten Probleme. Sie sagen, das Prinzip fördere Günstlingswirtschaft und diene dem Präsidenten zur Machterhaltung, frei nach dem Motto «Unterstütze die kleinen Verbände, und ihre Stimmen sind dir gewiss». Der ehemalige Fifa-Mitarbeiter Guido Tognoni denkt, dass gewichtete Stimmrechte dieses Problem lösen. Ermittelt werden könnte die Gewichtung etwa durch eine Mischrechnung der Anzahl WM-Teilnahmen, der WM-Erfolge und der Anzahl Mitglieder. Dass so etwas möglich ist, zeigt das Beispiel des internationalen Tennisverbands (siehe Box). Dass eine derart fundamentale Neuerung an einem Fifa-Kongress über die Hürde des Dreiviertel-mehrs kommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Eben: Wer beschneidet schon gerne die eigenen Rechte.

Politiker finden es daher nötig, den Verbänden Reformen aufzuzwingen. Über politischen Druck, über neue Gesetze. «Wir haben Vorstösse eingereicht», sagt Wermuth. «Die Sportverbände müssen spüren, dass wir nicht ­tatenlos zusehen», sagt Büchel. Sie beide denken wie Stricker an Transparenzvorschriften oder eine Beschneidung des Steuerprivilegs von Sportverbänden.

Büchel überlegt sich gar eine Quellensteuer: «Wenn sich nichts ändert, müssen wir zu härteren Mitteln greifen.» Den Wegzug von Sportverbänden würde er in Kauf nehmen. «Es geht jetzt auch um den Ruf der Schweiz.»

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 23.06.2015, 23:23 Uhr

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