Asylchaos: Anreize für die Reise nach Europa sind zu kappen

veröffentlicht am Samstag, 23.05.2015

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St. Galler Tagblatt: Anreize für die Reise nach Europa sind zu kappen

 

Asylchaos: Der Bundesrat muss auf internationaler Ebene tätig werden

Die Anreize für die Reise nach Europa sind zu kappen

Als Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats bin ich seit Mitte Woche bis heute Samstag mit einer kleinen Delegation in Italien. Die Asylproblematik bildet den Schwerpunkt der Gespräche mit Politikern, Behörden, NGOs und direkt Betroffenen.

Dabei hat sich meine Überzeugung weiter gefestigt: Wer Migranten (auch indirekt) motiviert, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, trägt dazu bei, dass sie sich in die Hände von skrupellosen Schlepperbanden begeben.

Eine schlimme Tatsache, die noch viel zu wenig bekannt ist: Zu Leiden und Tod kommt es nicht erst auf den Booten, sondern bereits bei der Reise quer durch den Schwarzen Kontinent in Richtung libysche Küste und zu weiteren Häfen in Nordafrika.

Ich habe in Afrika (Mali, Tunesien, Ägypten) verschiedene Projekte geleitet und war dadurch mit dem Problem schon im letzten Jahrzehnt konfrontiert.

Was ist die Folge, wenn hiesige Politiker fordern, dass die Schweiz zehntausende Flüchtige zusätzlich aufnehmen müsse? Die Arglosen sind mitverantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen auf den langen Weg quer durch das afrikanische Festland gelockt werden. Dort sind Raub, Vergewaltigung, Organhandel und weitere Gräueltaten an der Tagesordnung.

Die Anreize für diese Reisen sind zu kappen. Schlepperboote müssen möglichst nahe an der afrikanischen Küste angehalten und zurückgeführt werden.

Wirtschaftsmigranten gehören direkt in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Echte Kriegsflüchtlinge sind, wenn immer möglich, in einem Zentrum in einer kulturnahen Herkunftsregion unterzubringen. Diese Zentren sind unter dem Schutz der UNO einzurichten.

Die politisch Verfolgten, welche nach Europa gebracht werden, sind nach einem klaren Schlüssel auf die einzelnen Staaten zu verteilen. Wer schon überproportional viele Asylsuchende aufgenommen hat, muss entlastet werden – zum Beispiel die Schweiz.

Wenn der Bundesrat eine wirklich humanitäre Asylpolitik betreiben will, so muss er sich unverzüglich für dieses Konzept einsetzen. Realitätsferne Ideen mit einer planlosen Aufnahme von weiteren Menschenmassen bringen nichts. Es kann nicht länger akzeptiert werden, dass sich zahlreiche EU-Länder aus der Verantwortung stehlen und nur minimale Flüchtlingskontingente aufnehmen.

Bevor ein neues Konzept funktioniert, hat der Bundesrat für die konsequente Umsetzung des Dublin-Abkommens einzustehen. Heute hebeln die Mittelmeer-Staaten diesen Vertrag permanent aus.

So geben die italienischen Behörden unumwunden zu, dass sie im letzten Jahr bei 170‘000 Ankömmlingen nur die Fingerabdrücke von rund 70‘000 Personen genommen haben. Die andern 100‘000 stellen ihren Asylantrag irgendwo in Europa, oft in der Schweiz.

Warum handeln unsere südlichen Nachbarn derart offensichtlich vertragswidrig? Dank dieses falschen Tricks müssen sie sich als eigentlicher Dublin-Erststaat nicht für diese Leute zuständig erklären. Man kann sie nicht zu ihnen zurückschicken.

Noch schlimmer: Wegen zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist das Dublin-Abkommen nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Weshalb? 2011 wurden Rückführungen nach Griechenland praktisch verunmöglicht, 2014 wurden Rückführungen nach Italien massiv erschwert.

Mit diesen Entscheiden hat der Strassburger Gerichtshof „Dublin“ das Herz herausgerissen: Die zwei zentralen Ankunftsländer von Asylsuchenden wollen und müssen das Dublin-Abkommen nicht mehr respektieren.

Der Bundesrat darf dies nicht hinnehmen. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich Italiens Regierung unter dem Druck der aktuell enormen Last nicht mehr an die Dublin-Vereinbarungen halten will.

Was tut man, wenn man mit einem Vertrag nicht mehr einverstanden ist? Dann verhandelt man neu. Darum ist klar: Die italienische Regierung soll Neuverhandlungen fordern oder das Abkommen kündigen – anstatt es fortwährend zu untergraben.

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