Politik will Schleppern das Handwerk legen - Büchel ist für konsequentes Vorgehen

veröffentlicht am Dienstag, 21.04.2015 02.00 Uhr

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Politik will Schleppern das Handwerk legen

von J. Büchi - Legale Einreisen per Flugzeug und Schweizer Asylzentren in Tunesien: So wollen Schweizer Politiker das Massensterben im Mittelmeer beenden.

«Es reicht: Europa, tu endlich was!», titelte der «Berliner Kurier» am Montag. Auf der Front der «Rheinischen Post» prangte eine EU-Flagge, deren goldene Sterne durch kleine Totenkreuze ersetzt wurden. Dazu der Schriftzug: «Herzlich willkommen in der Europäischen Union.»

Seit den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer ist der Druck auf die EU, ihre Flüchtlingspolitik zu überdenken, so gross wie noch nie. EU-Staats- und Regierungschefs gelobten, umgehend Massnahmen zu ergreifen, damit sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt.

Auch für Schweizer Politiker ist klar: Unser Land muss alles in seiner Macht stehende tun, um dem Massensterben im Mittelmeer ein Ende zu bereiten. Die Schweiz mit ihrer humanitären Tradition sei prädestiniert dafür, in der anstehenden Lösungssuche eine Vermittlerrolle zu übernehmen, so das Echo. Ziel müsse es sein, dass die Flüchtlinge die lebensgefährliche Reise übers Mittelmeer gar nicht mehr antreten. Wenn es aber ums richtige Rezept dafür geht, scheiden sich die Geister.

- Legal mit dem Flugzeug in die Schweiz

«Die Fluchtwege müssen zwingend legalisiert werden», fordert Stefan Frey, Sprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die Schweiz müsse zusammen mit anderen Schengen-Dublin-Ländern Fluchtkorridore zu Luft, zu Wasser oder zu Land öffnen und die Aufnahmebedingungen harmonisieren. Es müsse den Flüchtlingen möglich sein, mit gültigen Reisepapieren und Tickets nach Europa zu kommen.

SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin spricht sich für die Wiedereinführung des 2012 abgeschafften Botschaftsasyls aus: «An Leib und Leben bedrohte Leute müssen ein Asylgesuch stellen können, ohne Gefahr zu laufen, vorher zu ertrinken.»

SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel hält wenig von diesen Ideen: «Das sind Träumereien von Leuten, die mit ihren Füssen nicht auf dem Boden der Realität stehen.» Beide Massnahmen würden Europa und die Schweiz für Flüchtlinge noch viel attraktiver machen – «das würde nicht helfen, um in der Region für Ruhe zu sorgen».

- Flüchtlingszentren in Nordafrika

Im März sorgte SVP-Nationalrat Luzi Stamm mit der Forderung für Furore, dass die Schweiz ihre Flüchtlingszentren künftig im Ausland errichten solle.

Dieser Vorschlag habe angesichts der aktuellen Umstände an Dringlichkeit gewonnen, sagt sein Parteikollege Büchel. «Mit einem Schweizer Franken können wir in Tunesien oder im Libanon weit mehr helfen, als wenn wir ihn für Flüchtlinge einsetzen, die in der Schweiz in einem Asylzentrum leben.»

Im Mai wird eine Delegation der Aussenpolitischen Kommission nach Tunesien reisen, um die dortigen Einrichtungen im Asylbereich zu besichtigen.

Flüchtlingshilfe-Sprecher Frey sagt: «Wir können das Problem nicht einfach abschieben, frei nach dem Motto ‚Aus den Augen aus dem Sinn‘.» Es gebe in den betroffenen Regionen schon genug Zeltstädte, in denen es am Nötigsten fehle. «Wünschenswert wäre jedoch eine finanzielle Unterstützung der NGOs vor Ort.»

- Rettungseinsätze neu regeln

Einig sind sich links und rechts, wenn es um die Einrichtung einer neuen Seerettungsoperation geht. Im Rahmen des Programms «Mare Nostrum» war die italienische Marine bis direkt vor die libysche Küste präsent gewesen und hatte so mehr als 100'000 Menschen gerettet. Doch das Programm wurde Italien zu teuer – es wurde nicht verlängert. Die Nachfolge-Operation «Triton »der EU-Grenzschutzagentur Frontex beschränkt sich nun darauf, dass Schnellboote direkt vor der italienischen Küste patrouillieren.

Tschümperlin fordert, dass die Rettungsmission unter Schweizer Beteiligung geografisch und finanziell ausgeweitet wird. «Wir brauchen wieder eine Rettungsoperation, die diesen Namen verdient.» Stefan Frey bezeichnet die heutige Lösung als «zynisch»: «Die Triton-Boote sind nur ein Abschreckungssystem, das sich noch nie als wirksam erwiesen hat. Sie sind nicht darauf ausgerichtet, Leben zu retten, sondern sie abzuwehren.»

Eine Neuausrichtung würde auch SVP-Mann Büchel begrüssen. Wenn jemand aus dem Meer gerettet werde, müsse er allerdings zwingend dahin zurückgebracht werden, wo er hergekommen war. «Wir müssen zeigen, dass es keinen Sinn macht, in die Boote zu steigen.»Im vergangenen Jahr zahlte die Schweiz 4,5 Millionen Franken an Frontex.

- Schlepperbanden das Handwerk legen

Roland Rino Büchel entschuldigt sich für die Wortwahl, sagt es dann aber trotzdem: «Sauhunde» und «Mörder» seien die Schlepper, die den Flüchtlingen ein besseres Leben in Europa versprechen und sie dann auf hoher See sterben lassen. «Wir müssen alles daran setzen, dass wir sie zur Strecke bringen können.»

Auch Tschümperlin fordert ein international koordiniertes Vorgehen gegen die kriminellen Banden. «Strafen allein nützen aber nichts. Indem wir die Situation vor Ort verbessern, müssen wir dafür sorgen, dass sich die Flüchtlinge gar nicht mehr in solchen Nussschalen aufs Meer wagen.»

- Afrikanische Länder in die Pflicht nehmen

Für alle Gesprächspartner ist klar: Allein kann die Schweiz aussenpolitisch nichts erreichen. Frey fordert aber: «Die Schweiz muss lauter und offensiver werden und zwar innerhalb des Schengen-Dublin-Systems wie auch gegenüber den Herkunftsländern.» Die Schweiz habe keine koloniale Vergangenheit und könne gerade afrikanische Gesprächspartner besser erreichen als andere Staaten. «Dafür muss die Schweiz Allianzen mit anderen, kolonial nicht belasteten Ländern, schmieden.»

Tschümperlin ergänzt, Genf sei der ideale Austragungsort für eine internationale Krisenkonferenz mit europäischen und afrikanischen Teilnehmern. Eine solche müsse rasch einberufen werden.

Für Büchel gilt es, den nordafrikanischen Regierungen aufzuzeigen, dass eine Zusammenarbeit auch für sie von Vorteil wäre: «Der Tourismus, als Beispiel, würde in einem sichereren Umfeld wieder anziehen und Handelsschranken könnten fallen.»

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