Hat Schottland-Abstimmung einen Einfluss auf die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU?

veröffentlicht am Mittwoch, 17.09.2014

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Die Schotten-Kontroverse im Bundeshaus

Würde eine Abspaltung der Schotten von London der Schweiz dienen? Antworten von Aussenpolitikern wie Christa Markwalder, Gerhard Pfister, Roland Rino Büchel oder Martin Naef.

Ganz Europa wird morgen gebannt nach Schottland blicken. Sagen die Schotten Ja zur Unabhängigkeit, wird das nicht nur das politische Gefüge in Grossbritannien erschüttern, sondern auch unmittelbare Auswirkungen auf die EU haben. Separationsbestrebungen in Katalonien sowie in anderen autonomiefordernden Regionen erhielten Auftrieb, und die EU wäre bis auf weiteres damit beschäftigt, diese abzuwehren. Denn weniger Zentralismus, mehr regionale Souveränität, ja die Wiedergeburt der Nation sind Tendenzen, die dem Selbstverständnis der Union widersprechen.

Just in dieser aufreibenden Zeit muss die Schweiz ihr Verhältnis zur EU grundsätzlich neu gestalten. FDP-Aussenpolitikerin Christa Markwalder sagt darum: «Aus Schweizer Sicht hätte ein unabhängiges Schottland kaum einen positiven Effekt. Die EU hätte noch mehr interne Probleme zu lösen und deshalb noch weniger Zeit für Verhandlungen zu Sonderlösungen mit der Schweiz.»

Der grüne Nationalrat Balthasar Glättli sieht gerade darin auch eine Chance für die Schweiz: «Wenn die EU sich mit einem weiteren Staat beschäftigen muss, der Sonderregelungen verlangt, schärft das möglicherweise den Blick für unsere Probleme.» SP-Nationalrat Roger Nordmann erkennt ebenfalls mögliche positive Effekte: «Der britische Premier Cameron hat mit seiner Europakritik den Spielraum für die Schweiz sehr klein gemacht. Es gibt kaum Platz für Konzessionen. Bei einem Ja zur Abspaltung würde Cameron abgesetzt – und die Situation könnte sich auch für die Schweiz entspannen.»

«Nur in friedlichem Europa möglich»

Wie uneinig sich die eidgenössischen Parlamentarier über die potenziellen Folgen des Referendums für die Schweiz sind, verdeutlicht die gegenteilige Einschätzung von Martin Naef, SP-Nationalrat und Präsident der Neuen Europäischen Bewegung (Nebs): «Der schottische Entscheid wird der Schweiz in den Verhandlungen mit der EU nichts bringen.» Naef wertet das Unabhängigkeitsreferendum als bemerkenswertes Zeichen für die Stärke der EU: «Dass ein Entscheid von derartiger Tragweite gewaltfrei gefällt werden kann, ist nur in einem befriedeten Europa möglich.

Niemand fürchtet sich davor, an die Urne zu gehen. Das ist letztlich das Verdienst der Staatengemeinschaft.» Glättli teilt diese Meinung: «Sollten die Schotten Ja sagen, wäre dies ein starkes Signal. Es ist in Europa möglich, dass sich ein Landesteil ohne militärischen Konflikt von einem Staat abspaltet.»

Auch CVP-Aussenpolitiker Gerhard Pfister glaubt nicht, dass das Referendum direkte Auswirkungen für die Schweiz haben wird. Unabhängig von dessen Ausgang kann er sich indes indirekte Effekte vorstellen, die sich positiv auf die Verhandlungsposition der Schweiz auswirken könnten: «Innerhalb der EU ist eine lebhafte Diskussion über einen stärkeren Föderalismus sowie über kulturelle und nationale Identitäten entstanden. Sie verdeutlicht, dass die Heimat trotz der Globalisierung zentral bleibt.»

Im schottischen Unabhängigkeitsbegehren erkennt Pfister zudem Impulse für die Situation in der Schweiz: «Mit Schottland leistet eine vermögende Region innerhalb Grossbritanniens Widerstand. Auch der Finanzausgleich in der Schweiz führt zur Tendenz, dass finanziell starke Kantone von den schwachen dominiert werden. Die britische Debatte lehrt uns, den regionalen Interessen angemessen Rechnung zu tragen, damit sich die wohlhabenden Kantone nicht abwenden.»

«Schlechtere Ausgangslage für die Schweiz»

Selbst wenn die Schotten morgen Nein sagen, wäre das Referendum ein Lehrstück für die Verhandlungstaktik nach Autonomie strebender Regionen – mit einer Maximalforderung hat Schottland der Zentralregierung bereits vorab Konzessionen abgerungen. So sicherte Cameron den Schotten etwa in einem medienwirksamen Schwur zu, künftig selbst über die Gesundheitsausgaben entscheiden zu können.

Ein Lehrstück auch für die Schweizer EU-Verhandlungen? Nein, findet SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel. Denn die Schweiz sei ungleich schlechter – «mit einem falschen Spirit» – in die Verhandlungen getreten: «Weil viele unserer Diplomaten eigentlich in die EU möchten, diese aber gleichzeitig an ihren Maximalforderungen festhält, ist die Ausgangslage für uns vergleichsweise ungünstig», sagt der Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats.

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