Büchel zur Rolle von Chefdiplomat Yves Rossier

veröffentlicht am Mittwoch, 27.08.2014

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Misstrauen gegen Chefdiplomat Rossier

Von Hubert Mooser, Bern

Kommt die EU der Schweiz in Sachen fremde Richter entgegen, wie der EDA-Staatssekretär und sein Chef Didier Burkhalter vermuten lassen? Bundesrat Schneider-Ammann hegt Zweifel.

Mont Vully, nördlich des Murtensees: Der Ort, wo der Bundesrat nach der Sommerpause eine weitere Klausur zum Thema EU durchführte, war wohl mit Bedacht gewählt. Von diesem Hügel hat man einen weiten Blick auf die Alpen, auf den Jura, aber auch auf den Neuenburgersee, den Bieler- und den Murtensee. Ein idealer Flecken, um über ein dorniges Dossier wie die Verhandlungen mit der EU zu reden.

Aber am Ende der Sitzung war die Ratlosigkeit des Bundesrats über die bilateralen Verhandlungen zu einem institutionellen Abkommen und Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative mit der EU noch grösser als vor der Sitzung. Gestiegen ist wegen des Rahmenabkommens auch der Druck auf den Staatssekretär im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Chefunterhändler Yves Rossier. Es geht um die Übernahme von EU-Recht, einen gemeinsamen Mechanismus zur Streitbeilegung und eine Gerichtsinstanz, die in Streitfällen entscheiden soll.

Kritik wegen Schönfärbereien

Die Sitzung auf dem Mont Vully zeigte vor allem eines: Die Situation ist verfahrener als sie Bundespräsident Didier Burkhalter und vor allem Staatssekretär Yves Rossier bisher darstellten. Bis im September wollte Rossier, der sich mit dem EU-Chefunterhändler gut versteht, möglichst viele Probleme lösen. Der EU-Funktionär übernimmt im September eine neue Aufgabe. Es sieht aber nicht danach aus, als könnte Rossier bis zu diesem Zeitpunkt den gordischen Knoten durchschlagen.

Wie mehrere voneinander unabhängige Quellen der BaZ bestätigten, hätten die Bundesräte auf dem Mont Vully fest­stellen müssen, dass die EU-Verhandlungen entgegen dem von Staatssekretär Rossier und auch von Didier Burkhalter verbreiteten Optimismus «meilenweit» von einer Lösung entfernt seien. Und dass die EU-Unterhändler Entscheide des EU-Gerichtshofs auch für die Schweiz als bindend ansehen. Burkhalter und Rossier taten bisher so, als sei Brüssel einverstanden, wenn der Europäische Gerichtshof in Streitfällen eine Art Gutachterposition einnehme.

Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, Burkhalters Parteikollege, nährte vor allem die Zweifel am bisherigen Verlauf der Verhandlungen. Gestützt auf ein Gespräch, das seine Staatssekretärin für Wirtschaft, Gabrielle Ineichen- Fleisch, mit dem EU-Chefunterhändler David O’Sullivan vorgängig geführt hatte, widersprach der Wirtschaftsminister der bisherigen Dar­stellung, dass die EU in Sachen Europäischem Gerichtshof der Schweiz entgegenkomme.

Weil Staatssekretär Rossier in der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen genau diesen Eindruck erweckt habe, hätten mit Ausnahme von EDA-Chef und Bundespräsident Didier Burkhalter alle Bundesräte Vorbehalte gegenüber Rossier geäussert, heisst es in verschiedenen Departementen. Die BaZ hat das EDA mit dem Sachverhalt konfrontiert. Eine Reaktion blieb jedoch aus. Auch im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bekam man keine Antwort auf die Frage, weshalb Ineichen-Fleisch mit O’Sullivan gesprochen habe. Wollte das Wirtschaftsdepartement die bisherigen Angaben aus dem EDA nachprüfen?

Unklare Kompetenzen im EDA

Aber das ist nicht noch nicht alles: Nach der Sitzung auf dem Mont Vully sahen sich verschiedene Bundesräte in ihrer Vermutung bestärkt, dass das EDA die Kompetenzen im Europa-Dossier bisher nicht klar geregelt hat. So fungiert Staatssekretär Rossier bei den Verhandlungen mit der EU als Chefunterhändler und ist somit zentrale Figur bei den Verhandlungen. Gleichzeitig gibt es mit Botschafter Henry Gétaz einen Chef der EDA-Direktion für europäische Angelegenheiten. Wie die Chargen aufgeteilt sind, kann niemand genau sagen.

Die Beziehung zwischen den beiden ist laut Parlamentariern nicht ganz störungsfrei. Aufgrund der Konstellation könne er sich vorstellen, dass die Zusammenarbeit zwischen Rossier und Gétaz auch nicht reibungslos sei, sagt der Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission, Roland Büchel (SVP, SG). APK-Mitglied und Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG) sagt dagegen, sie habe keine Kenntnis von einem Kompetenzgerangel zwischen Gétaz und Rossier.

Tatsache ist: Botschafter Gétaz leitet das Koordinationsgremium, das der Bundesrat Rossier 2013 zur Seite stellte. Dies hatte damals Ueli Maurer vorgeschlagen. In Bundesbern deutete man den Entscheid als Misstrauensvotum gegen Chefdiplomat Yves Rossier. Bei allen grossen Verhandlungen müsse jemand die verschiedenen Interessen der Departemente koordinieren, argumentierte hingegen das EDA.

Rossier hatte in den Monaten davor den Bogen ein wenig überspannt. So wurde im Frühjahr 2013 bekannt, dass er bei den Sondierungsgesprächen mit EU-Chefunterhändler O’Sullivan viel weiter gegangen war, als dies der Bundesrat beschlossen hatte. So hatte die Landesregierung in einem Beschluss festgehalten, dass der neue institutionelle Rahmen nur für neue bilaterale Verträge gelten solle. Aus dem Bericht zu den Sondierungsgesprächen ging jedoch hervor, dass Rossier dem EU-Unterhändler bereits zugestanden hatte, die neuen Regeln auch auf den bereits bestehenden Abkommen anzuwenden.

Koordination ohne Chefdiplomat

Als er sich in einem Interview mit der NZZ am Sonntag zur Aussage verleiten liess, «ja, es sind fremde Richter, es geht aber auch um fremdes Recht», musste Rossier im Bundesrat ein erstes Mal Kritik einstecken.

Im Rückblick sagt Büchel dazu: «Damals sagte Staatssekretär Rossier noch, was tatsächlich Sache ist. Später sprach das EDA in Zusammenhang mit dem Europäischen Gerichtshof bloss noch von einer Art Gutachterstelle.»

Fakt ist: Nach diesem Interview setzte der Bundesrat die Koordinationsgruppe unter Botschafter Gétaz ein. Bei den von der BaZ kontaktierten Departementen hiess es gestern, dieses Gremium habe bisher keine grosse Wirkung entfaltet. Rossier fehle häufig bei den Sitzungen. Der Staats­sekretär operiere meistens allein und ohne Rücksprache mit der Koordinationsgruppe. Und ohne die zentrale Figur im EU-Poker verkomme die Koordinationsgruppe zu einer Plauderrunde.

Rossier steht unter Beobachtung

Nach der Sitzung auf dem Mont Vully steht der Staatssekretär nun noch stärker im Fokus der Landesregierung. Man schaue inzwischen noch genauer hin, was bei den Verhandlungen mit der EU abgehe, heisst es in Bern.

Dass Rossier weiterhin das Vertrauen der Regierung geniesst, hat laut eingeweihten Kreisen vor allem damit zu tun, dass es keine Alternative zum Freiburger gibt. Botschafter Henry Gétaz, der Chef der Europapolitik, gilt im Bundesrat als Diplomat der alten Schule, dem eine gewisse Verhandlungshärte abgehe.

Wenn der Bundesrat es jemandem noch zutraue, die harzigen Verhandlungen mit der EU zum Abschluss zu bringen, dann dem Einzelkämpfer ­Rossier – weil er auch bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative lösungs­orientiert operiere. Viele Eskapaden, so scheint es, kann sich Chefdiplomat ­Rossier aber nicht mehr leisten. (Basler Zeitung)

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