Die vielen Schweizer Aussenminister - Büchel zum Besuch des APK-Präsidenten in Jerusalem und Ramallah
veröffentlicht am Donnerstag, 21.08.2014
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Die vielen «Aussenminister» der Schweiz
Einen Schattenaussenminister hatte die Schweiz früher mit Ernst Mühlemann. Heute drängen gleich mehrere Parlamentarier in diesen Job. Warum das so ist und was Stamm, Sommaruga & Co. dabei gewinnen.
Tel Aviv, Jerusalem, Ramallah: Carlo Sommaruga, SP-Nationalrat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission (APK), weilt zurzeit im Nahen Osten. Trotz des privaten Charakters seiner Reise wird der Genfer von anderen Schweizer Aussenpolitikern kritisiert. Den Zeitpunkt mitten im Gaza-Konflikt erachten sie als heikel, wie sie gegenüber Radio SRF sagen.
Komme hinzu, dass die Treffen Sommarugas mit Diplomaten, Friedensaktivisten und Vertretern der Genfer Initiative, die sich für eine Verhandlungslösung einsetzen, dem Besuch einen offiziellen Anstrich gäben, meint etwa APK-Vizepräsident Roland Büchel (SVP).
Und Doris Fiala (FDP) fragt sich, ob Sommaruga als Kommissionspräsident im Ausland überhaupt als Privatperson wahrgenommen werde.
Die offizielle Schweizer Aussenpolitik ist zwar Sache des Bundesrats. Parlamentarier reisen aber mit grosser Regelmässigkeit privat ins Ausland, um dabei auch offizielle Vertreter der jeweiligen Länder zu treffen – und geben damit der Schweizer Aussenpolitik viele Gesichter. Im Frühling dieses Jahres etwa reiste eine sechsköpfige SVP-Parlamentariergruppe in den Iran. Nationalrat Luzi Stamm äusserte sich bei diesem Besuch kritisch über die westlichen Sanktionen.
In der Schweiz wurde ihm daraufhin vorgeworfen, er habe sich vom schiitischen Regime zu Propagandazwecken instrumentalisieren lassen. Auch Sommaruga zeigte sich irritiert über den «Alleingang» in Teheran.
Oder CVP-Mann Filippo Lombardi: Er besuchte 2013 während seines Ständeratspräsidialjahres 22 Länder. Sein Amt verstand er als Repräsentationsfunktion und weilte in Kamerun, Kambodscha oder Katar, während gleichzeitig der damalige Bundespräsident Ueli Maurer seine internationalen Auftritte auf ein Minimum reduzierte. Enge Kontakte pflegt der Tessiner vor allem zu Russland. Dort trifft er sich mit Politikern genauso wie mit potenziellen Investoren für seinen Eishockeyclub Ambri-Piotta – bei Lombardis häufigen Russlandaufenthalten vermischen sich Politisches und Privates.
Viele Köche...
Auch Jean-François Rime (SVP) befremdete vor zwei Jahren mit einem privaten Besuch in Nordkorea, von dem er mit der Nachricht nach Hause kam, Pyongyang würde sich über die Eröffnung einer Schweizer Botschaft freuen. Unvergessen ist zudem Geri Müllers (Grüne) Treffen mit drei führenden Hamas-Vertretern in Bern. Die Liste solcher halbprivater Kontakte liesse sich beliebig verlängern. Sie zeigt: Viele Gesichter bedeuten in der Schweizer Aussenpolitik viele Meinungen – und viele unterschiedliche Wahrnehmungen der Schweizer Positionen im Ausland.
Die NZZ fragte daher vor zwei Jahren: «Wie viele Schattenaussenminister braucht die Schweiz?» Und meinte: Wie viele erträgt sie? Einst hatte den Begriff eine einzige Person geprägt. Der Thurgauer FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann pendelte während Jahren zwischen den Machtzentren der Welt – ohne je offizieller Aussenminister gewesen zu sein. Als APK-Mitglied und zeitweise -Präsident baute er sich ein beachtliches internationales Kontaktnetz auf.
Er lernte Michail Gorbatschow kennen und traf sich mit Margaret Thatcher. In den 1990er-Jahren vertrat er die Schweiz im Europarat und vermittelte eine rasche Einbindung Russlands in das Gremium. Auch nach seinem Rücktritt aus dem Nationalrat 1999 meldete er sich häufig als einflussreiche Stimme zum aktuellen Geschehen zu Wort.
... verderben den Brei?
Mit Mühlemanns Tod 2009 öffnete sich eine inoffizielle Lücke, die seither niemand wieder gefüllt hat. Stattdessen drängen sich zahlreiche Schweizer Parlamentarier ins Rampenlicht der internationalen Politbühne – mit allen potenziellen Folgen, die das für die Kohärenz der offiziellen Aussenpolitik mitbringt. «Das birgt zwar die Gefahr, dass die Schweizer Positionen widersprüchlich wahrgenommen werden, lässt sich in unserem System aber nicht vermeiden», sagt Politologe Andreas Ladner.
Ein britischer Labour-Abgeordneter werde wegen des Zweiparteiensystems im Ausland klar als Vertreter der Opposition wahrgenommen, während die Machtverhältnisse in der Schweiz von aussen nicht so eindeutig zu beurteilen seien. Entsprechend wichtig sei es, dass sich die Aussenpolitiker bei inoffiziellen Besuchen als Vertreter einer Partei und nicht der Mehrheitsmeinung deklarierten.
Auch Laurent Goetschel, Politologe und Direktor von Swisspeace, sagt, politische Meinungsvielfalt, wie sie in der Schweiz herrscht, widerspiegle sich bis zu einem gewissen Grad in der Aussenpolitik. Divergierende Stimmen seien daher nicht dramatisch. Einen Schattenaussenminister brauche die Schweiz dagegen nicht: «Wir haben schon sieben Bundesräte, von denen sich neben dem Aussenminister sechs weitere auch immer wieder mit solchen Fragen befassen. Parlamentarier agieren in ihrem eigenen Namen, und das ist auch gut so.»
Dass sich viele Schweizer Parlamentarier aussenpolitisch engagieren, obwohl sie keine Entscheidungskompetenz haben, ist für Ladner ein Zeichen der Zeit: «Angesichts der Internationalisierung der Politik können auf diese Weise unter Umständen auch innenpolitische Ziele erreicht werden.» Beispiel Parteienfinanzierung: Wer mehr Transparenz in der Schweiz erreichen will, kann versuchen, via Kontakte zum Europarat den internationalen Druck zu erhöhen.
«Viele politische Weichenstellungen werden heute auf dieser Ebene gesetzt», sagt Ladner. Umso mehr Potenzial ergibt sich für die umtriebigen parlamentarischen Privat- und Halbprivatreisenden.