Am Wochenende hatte Estlands Präsident Toomas Hendrik die Schweiz wegen ihrer in seinen Augen allzu kulanten Haltung gegenüber Moskau kritisiert. Der Bundesrat lässt sich davon offenbar nicht beeindrucken. Auffällig an seinem gestrigen Entscheid aber ist: Kein Mitglied der Landesregierung mochte diesen vor den Medien erläutern.

Stattdessen beliess man es bei einem kurzen Communiqué. Was ebenso auffällt: Die politischen Parteien tragen diesen Kurs stillschweigend mit. Weder gab es gestern zustimmende Medienmitteilungen noch Kritik.

Das Auffällige an einer Medienmitteilung ist oft das, was nicht drinsteht. So kündigte der Bundesrat nach seiner gestrigen Aussprache zum Ukrainekonflikt neue Massnahmen gegenüber Russland an, erwähnte den während der Sommerpause erfolgten Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine aber mit keinem Wort. Es ist nur eines von vielen Zeichen dafür, dass die Schweizer Landesregierung den Ball weiter flachhalten will: gegenüber Moskau, aber auch gegenüber Brüssel.

Massnahmen kommen «rasch»

Die sieben Bundesräte erteilten an ihrer Sitzung «extra muros» in Mont-Vully (FR) dem Wirtschaftsdepartement von Johann Schneider-Ammann (FDP) den Auftrag, alles in die Wege zu leiten, damit auch die jüngsten Sanktionen der EU gegen Russland nicht über die Schweiz umgangen werden können. Die neuen Massnahmen sollen «rasch» vorliegen, vermutlich schon nächste Woche. Brüssel hat den Weg vorgespurt:

  • Russische Banken in Staatsbesitz dürfen seit dem 1. August auf den EU-Finanzmärkten keine Wertpapiere oder Aktien von russischen Firmen mehr verkaufen. Die Bankiervereinigung sieht einer ähnlichen Massnahme der Schweiz gelassen entgegen. Hiesige Institute halten sich laut einer Sprecherin schon heute an alle Sanktionen von EU und USA, obwohl der Bundesrat noch nicht vollumfänglich nachgezogen hat. Die bis jetzt erlassenen Strafmassnahmen gelten gemäss einem Branchenkenner als «sehr punktuell» und wenig einschneidend.
  • Eine weitere EU-Sanktion verbietet die Ausfuhr von Spezialtechnik zur Erdölförderung. Das könnte die umstrittenen Bohrungen Russlands in der Arktis behindern. Ein analoges Exportverbot würde in der Schweiz zum Teil auch grosse Firmen wie ABB oder Sulzer treffen.
  • Wenig Nachholbedarf hat die neutrale Schweiz im Rüstungsbereich. Die EU untersagt den Export von Kriegsgütern und militärisch nutzbarer Hochtechnologie seit Anfang Monat. Bern hingegen verhängte bereits im Frühling einen Bewilligungsstopp für Kriegsmaterialausfuhren nach Russland und in die Ukraine. Seit gestern fallen auch «besondere militärische Güter» unter das Verbot. Gemeint sind militärische Trainingsflugzeuge sowie Güter, die für militärische Zwecke konzipiert worden sind, aber weder Waffen noch Munition, Sprengstoffe und andere Gefechtsmittel darstellen.

Die ersten Anti-Umgehungsmassnahmen erliess der Bundesrat Anfang April. Seither dürfen Finanzinstitute keine neuen Geschäftsbeziehungen mit Personen eingehen, die von der EU sanktioniert sind. Auf der Liste stehen zahlreiche prorussische Separatisten, die gegen die ukrainische Armee kämpfen.

Kritik, Spott, Zustimmung

Im Bundeshaus stösst die Landesregierung mit ihrer zaghaften Russlandpolitik auf verhaltenen Widerstand, wenn auch nicht überall.

«Es wäre völlig falsch, wenn der Bundesrat den Export von Spezialgeräten zur Ölförderung einschränken würde. Dann können wir genauso gut ehrlich sein und sagen, dass wir EU-Sanktionen übernehmen», sagt der St. Galler SVP-Nationalrat und Aussenpolitiker Roland Rino Büchel.

Der Zürcher FDP-Nationalrat und Wirtschaftskommissionspräsident Ruedi Noser findet: «Die Sanktionen der EU sind ein Witz. Sie schmerzen weder Moskau noch Brüssel. Die Schweiz sollte bei dieser stümperhaften Übung nicht mitmachen.» Die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin äussert sich positiv: «Mit dieser Lösung können alle Seiten das Gesicht wahren.»