Ecopop - die Initianten reagieren auf die massive Abfuhr im Nationalrat, Büchel kontert

veröffentlicht am Freitag, 13.06.2014

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So wollen Politiker jetzt das Platzproblem lösen

von S. Hehli - Zersiedelung und Überbevölkerung: Ecopop-Vertreter kritisieren, darauf hätten die Parteien keine Antworten parat. Nationalräte von links bis rechts widersprechen vehement – und skizzieren ihre Zukunftsvisionen.

Nationalräte aller Parteien liessen bei der Debatte am Dienstag und Donnerstag kein gutes Haar an der Ecopop-Initiative – kein Wunder, wurde diese letztlich wuchtig abgeschmettert. Die Initianten fühlen sich ungerecht behandelt: Sie seien schockiert über das tiefe Niveau der Debatte, schreibt Ecopop in einem Communiqué. «Die persönlichen Angriffe unter der Gürtellinie sind absolut unwürdig für gewählte Volksvertreter», beklagt sich der Geschäftsführer des Vereins, Andreas Thommen.

Hauptkritikpunkt: Die Nationalräte hätten keine Visionen aufgezeigt, wie viele Menschen in zwanzig Jahren in der Schweiz wohnen sollen. Welche Rezepte es dagegen gebe, dass im Mittelland immer mehr Menschen zusammengepfercht würden. Oder wie bei einem ungebremsten Bevölkerungswachstum der Ausbau der Infrastruktur finanziert werden sollte.

Den Vorwurf lassen die Angegriffenen von links bis rechts nicht auf sich sitzen. SVP-Nationalrat Roland Büchel, der die Ecopop-Leute als «Birkenstock-Rassisten» bezeichnet hatte, sieht in der Zersiedelung des Mittellandes zwar ebenfalls ein Problem. Aber die Ecopop-Initiative mit ihrer strikten Einwanderungsbegrenzung habe dafür keine Lösungen parat. «Wir müssen dafür sorgen, dass in den Städten verdichtet und auch vermehrt in die Höhe gebaut wird», nennt der St. Galler ein konkretes Rezept.

Kleine Schritte statt grosse Visionen

Die Schweiz in 20 Jahren sieht Büchel nicht hoffnungslos überbevölkert. Einerseits, weil die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) Wirkung zeigen werde. Andererseits aber auch, weil die Zuwanderung von der weltweiten Konjunktur abhänge und nicht immer so hoch sein werde wie derzeit. «Es gibt eben äussere Umstände, die wir mit politischen Vorstössen und Initiativen viel weniger beeinflussen können, als wir das vielleicht möchten.»

Kurt Fluri findet, es sei die hauptsächliche Aufgabe der Nationalräte gewesen, in der Debatte die gravierenden Schwächen der Ecopop-Initiative aufzuzeigen – und nicht Alternativen vorzulegen. «Es ging ja nicht darum, einen Gegenvorschlag zu erarbeiten.» Der FDP-Nationalrat setzt auf kleine, pragmatische Schritte statt auf die grossen Visionen. «Auf die Frage der künftigen Bevölkerungsentwicklung werden wir im Zusammenhang mit der Umsetzung der MEI Antworten finden müssen, das Problem der Zersiedelung sind wir mit dem neuen Raumplanungsgesetz angegangen.» Dieses sieht unter anderem vor, dass Gemeinden neue Bauzonen nur noch erstellen dürfen, wenn der Bund dafür grünes Licht gibt.

Führt Ecopop zu mehr Verkehr?

Weiter gehen will Regula Rytz, Präsidentin der Grünen. Sie verweist auf die Kulturlandschafts-Initiativen ihrer Partei. In Zürich war sie damit bereits an der Urne erfolgreich, in Bern wurde die Initiative am Mittwoch eingereicht, die St. Galler Sektion soll bald folgen. Die Grünen wollen erreichen, dass grundsätzlich kein landwirtschaftlich wertvolles Land mehr überbaut werden darf – ausser die entsprechende Gemeinde kann ein übergeordnetes Interesse geltend machen und verpflichtet sich, auf dem Land verdichtet zu bauen.

Rytz hält nichts davon, darüber zu diskutieren, wie viele Leute 2035 in der Schweiz wohnen dürfen. «Die Herausforderungen sind nicht quantitativer Art, sondern qualitativer: Wie können wir die Lebensqualität sichern und gleichzeitig die Umwelt bewahren?» Sie kritisiert, dass ein Ja zur Ecopop-Initiative zu einer massiven Zunahme der Grenzgänger führen würde – denn diese sind von der Zuwanderungsbeschränkung ausgenommen. «Es käme zu massiv mehr Verkehr, weil diese Leute ja zu ihren Arbeitsplätzen in der Schweiz pendeln müssten – das wäre völlig kontraproduktiv.» Die Grünen wollen die Zuwanderung bremsen, indem sie sich gegen das «Steuerdumping» wehren. Mit diesem Instrument würden einzelne Kantone ausländische Firmen anlocken, die wiederum zahlreiche Mitarbeiter mitbrächten.

Mehr Kinder für hiesige Familien

SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen sieht keinen Grund, das Wachstum der Bevölkerung zu stoppen. «Die Schweiz hat in den letzten 150 Jahren bewiesen, dass sie sich jene Leute holt, die sie braucht – zuletzt etwa Informatiker oder medizinisches Personal.» Den Mangel an einheimischem Personal habe sich die Schweiz selber zuzuschreiben: «Reaktionäre Kräfte» hätten sich in den letzten Jahrzehnten dagegen gewehrt, dass es bessere Betreuungsangebote für berufstätige Frauen gegeben habe. «Ich hätte gerne vier Kinder gehabt – aber weil ich wusste, dass ich meine berufliche Karriere als Anwältin dann an den Nagel hätte hängen müssen, sinds nur zwei geworden.» So sei es vielen Frauen ihrer Generation gegangen, sagt die 61-Jährige.

Sie plädiert deshalb dafür, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert wird, so dass hier ansässige Eltern – Schweizer und Ausländer – mehr Kinder haben könnten. Mit einer besseren Nutzung der Ressourcen sei eine wachsende Bevölkerung durchaus verkraftbar, so Kiener Nellen. Die Menschen sollten nahe bei ihrem Arbeitsplatz wohnen – oder zumindest nahe beim ÖV. «Das erreichen wir durch verdichtetes Bauen in den Städten und Agglomerationen, auch durch Aufstockungen bestehender Gebäude.»

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