Grosses Büchel-Interview zur Fifa und zur Korruption im Sport

veröffentlicht am Sonntag, 22.07.2012

Südostschweiz am Sonntag


Mit Roland Büchel sprach Urs Zurlinden

Herr Büchel, geniessen Sie das Leben?

Roland Büchel: Ja. Am letzten Mittwoch war ich an der  Weltpremiere des Musicals „Tell“ in Walenstadt. Was für eine wunderbare Aufführung auf der eindrucksvollen Seebühne bei perfekten Wetterbedingungen! Lebensgenuss pur! Warum fragen Sie?

Fifa-Präsident Sepp Blatter hat letzte Woche dazu aufgerufen: „Enjoy the game, enjoy live“. Für ihn ist das Leben ein Spiel?

Das Leben ist für viele Menschen ein Spiel. Das ist sicher kein schlechter Ansatz, aber nicht alle Lebensbereiche sind als Spiel aufzufassen.

Hat Blatter denn allen Grund, das Leben zu geniessen?

Was in der Fifa in den vergangenen Jahren geschehen ist, hat ihm eher Verdruss als Genuss beschert. Wenn die nun beschlossenen Fifa-Reformen wirklich greifen, hat er wieder mehr Gründe, sich des Lebens zu erfreuen.

Sie kennen Blatter persönlich aus Ihrer Zeit, als Sie für die Fifa arbeiteten. Wie ist er?

Er ist ein sehr charmanter Mann. Er hat Witz und er versteht es, auf Zeit zu spielen, wenn der Ball für ihn zu rollen scheint.

Und wie viel Dreck am Stecken hat er?

Wenn er mit einem Stecken in der Hand auf der geteerten Landstrasse entlang schreitet, hat er relativ wenig Dreck daran. Wenn er durch sumpfiges Gelände geht, wird sein Stecken wohl dreckiger sein. Für viele Leute ist nicht klar, welchen Grund er im Moment unter den Füssen hat.

Wie viel weiss er von den Schmiergeldzahlungen?

Er weiss mehr als er sagt.

Als die Überweisungen an seinen Vorgänger und Ziehvater Joâo Havelange offiziell bestätigt wurden, liess er ihn als Ehrenpräsidenten fallen wie eine heisse Kartoffel. Das riecht nach einem rücksichtslosen Machtmenschen?

Schauen wir mal, ob er ihn wirklich fallen lässt - Havelange ist nach wie vor Fifa-Ehrenpräsident. Aber es stimmt: Die zwei waren 37 Jahre lang sehr enge Partner. Jetzt wird Blatter sich von ihm trennen müssen, um seine eigene Position zu retten.

Blatters Reformpläne wurden vom Fifa-Exekutivkomitee einstimmig durchgewunken. Ein klassischer Befreiungsschlag?

Es war ein taktisch kluger Schachzug. Ich denke übrigens nicht, dass wirklich alle 24 Komiteemitglieder die Hand fadengerade in die Höhe gestreckt und begeistert zugestimmt haben. Die Form ist jetzt ok, nun muss auch noch der Inhalt passen.

Die  Deadline für Resultate ist der 31. Dezember dieses Jahres. Dann steht der Bericht des Bundesrats, den er zuhanden des Parlaments erarbeitet. Dieser Bericht basiert auf einem Vorstoss, den ich im Dezember 2010 einreichte. Im Rapport sind die Machenschaften bei den grossen Sportverbänden aufzulisten. Blatters Fifa hat bis dann durch Taten zu zeigen, dass es ihr mit der Reform ernst ist.

Die Rücktrittsforderungen vor allem aus Deutschland bleiben. Soll er den Hut nehmen?

Das müssen die Mitglieder der Fifa entscheiden. Der Milliardenkonzern hat praktisch den gleichen rechtlichen Status wie zum Beispiel eine Jagdgesellschaft in einem Bündner Seitental oder ein Fünftliga-Fussballverein.

Blatter ist seit 1975 im Sold des Weltfussballverbandes, war von 1981 bis 1998 Generalsekretär und ist seither Präsident. Er hat die Kultur des Taktierens und Mauschelns verinnerlicht?

Er hat die Kultur, die Herr Havelange eingeführt hat, weiter perfektioniert. Ob es für den Fussball das Ziel sein soll, dass die Fifa beim Taktieren und Strippenziehen in der obersten Liga mitspielt, bezweifle ich.

Gewählt wird Blatter vom Fifa-Kongress. Für den ehemaligen Fifa-Direktor Guido Tognoni ist das reinste „Fifa-Folklore“?

Es ist halt so. In einem Verein wählen die Mitglieder ihren Präsidenten. Jeder der 209 Verbände verfügt über eine Stimme. Da hat eine kleine Südseeinsel den gleichen Einfluss wie die Fussballgrossmächte Deutschland und England.

Gemäss dem Korruptionsspezialisten und Fifa-Berater Mark Pieth sei nur Blatter in der Lage, die jetzt aufgegleiste Reform umzusetzen.

Blatter darf nicht das Ziel haben, sich 2015 nochmals als Präsident inthronisieren zu lassen. Sonst kommt es nicht gut. Denn für eine Wiederwahl würde er die Gunst vieler korrupter Funktionäre nochmals brauchen. Das sind genau jene Leute, die er jetzt wegputzen (lassen) muss.

Ausschliessen will er eine Wiederwahl auch mit 79 Jahren nicht?

Er hat sich tatsächlich dahingehend geäussert. Doch etwas anderes ist ihm noch wichtiger: Es ist seine deklarierte Ambition, den Friedensnobelpreis zu erlangen - entweder für die Fifa oder für sich selbst, quasi als Dekoration seines Lebenswerkes. Wer den aktuellen Zustand der Fifa bewertet, rechnet wohl weder die Organisation selbst noch deren Präsidenten zum allerengsten Favoritenkreis…

Was halten Sie denn von der neu organisierten Ethikkommission?

Die Struktur ist gut, und die beiden Exponenten scheinen in Ordnung zu sein. Jetzt geht es um die Qualität der Arbeit. Der Lackmustest ist klar: Was machen sie aus dem Fall mit den geschmierten ISL-Millionen? Dort geht es um gerichtlich nachgewiesene Fakten. Die Kommission kann also schnell handeln. Wenn da etwas geschieht, hat sie Biss. Sonst bleibt sie ein zahnloser Tiger, wie die bisherige Fifa-Ethik-Kommission. Der Begriff war übrigens im Jahr 2010 das Schweizer „Unwort des Jahres“. Das sagt wohl alles.

Die Fifa gibt sich eine verbandsinterne Justiz. Ist das wirklich der Weg, interne Mauscheleien und Korruption zu unterbinden?

Hausinterne Kommissionen können gut sein, müssen es aber nicht.

Im Weltfussball sind immense Geldsummen im Spiel. Da sind erhebliche Zweifel an der Selbstregulierungskraft einer Fifa angebracht?

Es ist so: Die Einnahmen der Fifa haben sich in den letzten 30 Jahren verhundertfacht und betragen inzwischen mehr als eine Milliarde US-Dollar im Jahr. Dank der Marketing- und TV-Rechte schneit es der Fifa das Geld quasi zum Dach hinein. Wenn so viel Geld im Spiel ist, steigt die Versuchung, sich zu bedienen. Geben wir der Fifa doch bis Ende Jahr Zeit, ihre neue Chance nutzen.

Die neue Verbandsjustiz ist in eine untersuchende und in eine richtende Instanz aufgeteilt. Ist sie auch genug unabhängig?

Die Frage stellt sich logischerweise. Denn die gleichen Leute, welche jetzt die Richter ernannt haben, müssen eventuell bestraft werden. Entscheidend sind wie immer die Personen. Deshalb hängt alles davon ab, ob Michael J. Garcia und Hans-Joachim Eckert ihre Arbeit gut machen. Andere Mitglieder der Ethikkommission haben selbst bei gerichtlich belegten Schmiergeldzahlungen nichts unternommen. Wie gut werden diese Leute mitarbeiten?

Die neuen Gremien werden auch die Vergangenheit untersuchen. Was werden Sie finden?

Zuallererst müssen sie nicht suchen, sondern handeln. Und zwar bei den Unter-dem-Tisch-Zahlungen, die jetzt auf dem Tisch liegen. Dabei geht es um x-Millionen. Wenn sie dann weitersuchen, werden sie noch einiges finden.

Im Visier bleibt die Zuger Sportrechte-Vermittler ISL, wo Sie arbeiteten. Was wussten Sie von den Zahlungen an Havelange und Co?

Die Firma ging im Mai 2001 Konkurs. Heute weiss man, dass mindestens 142 Millionen Franken in den Taschen von gierigen Entscheidungsträgern des Sports landeten. Neben Fifa-Funktionären bedienten sich auch IOK-Mitglieder. Eine erste Summe von 138 Millionen Franken wurde sieben Jahre nach dem ISL-Konkurs in einem Zuger Gerichtssaal bekannt.

Da war die ganze Welt überrascht. So auch ich und die Experten, welche sich während Jahren mit dem Fall ISL beschäftigt hatten. Trotzdem hielt sich die öffentliche Erschütterung in Grenzen, und die Konsequenzen blieben aus. Das erstaunte mich damals sehr.

Was wird noch ans Licht kommen?

Experten sagen, es käme noch sehr viel ans Licht. Bei Korruptionsfällen ist vielfach nur die Spitze des Eisbergs bekannt. Das liegt in der Natur der Sache.

Blatter wusste jahrelang von den Bestechungen – und schwieg! Hat er sich als Mitwisser mitschuldig gemacht?

Dass er geschwiegen hat, ist ein Riesenproblem. Und noch bis kurz vor den Wahlen im vergangenen Jahre verkündete er, in der Fifa gebe es keine Korruption. Jetzt ist bewiesen, dass er seit vielen Jahren davon wusste. In der Korruption gibt es Geber und Nehmer – und es gibt Mitwisser.

Das neue Gremium tagt erstmals am 9. August. Was erwarten Sie?

Dass sofort gehandelt wird. Von mir aus kann dem einen oder anderen Sünder ein ehrenvoller Abgang, zum Beispiel „aus gesundheitlichen Gründen“, ermöglicht werden. Ich erwarte, dass die Leute, die dem Sport derart schaden, dort sehr bald nichts mehr zu sagen haben.

Die Entscheide der Ethikkommission können an das Sportgericht in Lausanne und an das Bundesgericht weiter gezogen werden. Das kann lange dauern?

Ja, und genau darum führen „freiwillige“ Rücktritte eher zum Ziel. Das IOK hat das gut gemacht: Es hat dem letzten auf Lebzeiten gewählten Mitglied, Joao Havelange, einen solchen Abgang zugestanden. Auch die Fifa könnte dies dem einen oder anderen ihrer korrupten Funktionäre ermöglichen.

Wäre eine verbandsexterne Justiz nicht die sauberere Lösung?

Sicher, aber jetzt gibt es das interne Modell. Geben wir ihm eine Chance.

Was halten Sie vom Vorschlag von SP-Nationalrat Carlo Sommaruga, das Korruptionsstrafrecht auch für Nichtregierungsorganisationen wie die Fifa oder das IOK anzuwenden?

Das tönt gut, könnte aber trügerisch sein. Wenn ein Russe einen Kameruner in Argentinien schmiert, kann ein Schweizer Staatsanwalt möglicherweise wenig ausrichten. Hingegen besteht die Gefahr, dass „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Politik ein Gesetz schafft, welches übertriebene Eingriffe auslöst, aber genau das anvisierte Problem nicht anpackt.

Ich bin überzeugt, dass man mit gezieltem Druck auf die Verbände mehr erreichen kann: Vereinsstatus und Steuermässigungen müssen nicht in Stein gemeisselt sein. Hier braucht es einen „Wink mit dem Zaunpfahl“.

Sommarugas Idee wird von den Rechtskommissionen der beiden Räte unterstützt – allerdings nur knapp.

Das hat mich sehr überrascht.

Mark Pieth hat schon vorgeschlagen, das Strafgesetzbuch (Art.322 septies) zu ergänzen mit: „Internationale Sportverbände sind den internationalen Organisationen gleichgestellt“. Eine einfache Lösung in sieben Sätzen?

Diesen Vorschlag brachte die Zürcher SP-Nationalrätin Anita Thanei schon Ende 2010 ein. Bei einer solchen Lösung müsste man dann einfach hoffen, dass Fifa-Sekretärinnen oder korrupte Funktionäre nicht noch einen Diplomatenpass verlangen...

Auch Sportminister und Ihr Parteikollege Ueli Maurer forderte schon 2010, die gesetzlichen Schlupflöcher zu stopfen, um Korruption auch im Sportbereich zu verhindern. Letzte Woche wollte er von neuen Gesetzen nichts mehr wissen. Ein krasser Stimmungswandel?

Das scheint so. Es ist Aufgabe des Bundesamtes für Sport und des Bundesrates, offen an das Thema heran zu gehen. Möglicherweise braucht es tatsächlich kein neues Gesetz. Ich habe vorhin angedeutet, warum. Andere Leute denken anders. Darum haben sich die zuständigen Stellen beim Bund seriös damit zu befassen.

Wie erklären Sie sich die bisherige Sonderstellung ausgerechnet der für illegale Geldflüsse höchst anfälligen Weltsportverbände?

Auch wenn die Vereinsstruktur sicher einmal die richtige war – zumindest für die Milliardenkonzerne Fifa, Uefa und IOK muss diese ernsthaft in Frage gestellt werden.

Für Daniel Eckmann, den früheren Spitzenhandballer, Bundesratssprecher und stv. SRG-Generaldirektor, sind die Fifa und das IOK „Gewinnabschöpfungskartelle mit politischem Einfluss“.

Den politischen Einfluss sollte man nicht überschätzen. Ich bin froh, in einem Land zu leben und zu politisieren, in welchem Volk und Parlament für die Regeln zuständig sind – und nicht Sportorganisationen.

Der renommierte Strafrechtsprofessor Mark Pieth sagt: „Über der Fifa ist nur noch der Himmel.“

…und darunter nur noch die Hölle? Ernsthaft: Mark Pieth meint damit, dass sich die Fifa gerne ausserhalb des Rechts sieht. Als Nicht-Jurist will ich Herrn Professor Pieth nicht widersprechen...

...und Sepp Blatter ist der Zerberus, der mehrköpfige Torhüter, der den Eingang zur Unterwelt bewacht?

Zwischen Himmel und Hölle gibt es noch eine reale Welt. In dieser ist kaum jemand ein reiner Engel oder ein purer Teufel. Auch nicht im Exekutiv-Komitee der Fifa. Obwohl sich Sepp Blatter im Fifa-Vorstand gemäss eigenen Aussagen seit einiger Zeit von Engeln und Teufeln umgeben sieht.


Bio-Box 

Roland Büchel...

...ist am 8. Oktober 1965 in Altstätten geboren. Nach der KV-Lehre auf einer Bank machte er die Ausbildung zum Konsulats- und Botschaftsangestellten und später noch einen Nachdiplomlehrgang Sport- und Nonprofit-Management. Nach diversen Einsätzen fürs EDA leitete er von 1992 bis 1999 das Sponsoring mit den berühmten gelben Käseanzügen der Skinati, ab 2000 war er als Berater im Bereich Marketing tätig unter anderem für die ISL Marketing AG in Zug und die Fifa. Seit März 2010 vertritt er die SVP im Nationalrat. Heute arbeitet Roland Rino Büchel als selbständiger Sportmanager/Unternehmer, ist ledig und wohnt in Oberriet, SG. (uz)

Alle Aktuellbeiträge