Fussball: Afrika-Meisterschaften in Ägypten

veröffentlicht am Mittwoch, 01.02.2006 12.22 Uhr

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African Cup of Nations – Die „EM der Afrikaner“      

 

Die Vorrunde beim African Cup of Nations ist abgeschlossen. Was ist bisher in Ägypten gelaufen? Organisatorisch geht einiges drunter und drüber – wie gewohnt. Zum Sport: Ich habe den Eindruck, dass der afrikanische Fußball seit ein paar Jahren auf ansprechendem Niveau stagniert. Und dass die Mannschaften vom Schwarzen Kontinent bei der kommenden WM in Deutschland keine entscheidende Rolle spielen werden. Das hat auch damit zu tun, dass sich in der WM-Qualifikation Teams aus der zweiten Reihe durchsetzen konnten: Togo ist schlicht zu schwach für eine WM. Bei Ghana und Angola ist Potential vorhanden. Verfügen die jungen Teams aber über genügend internationale Erfahrung? Die Elfenbeinküste ist für die „Todesgruppe“ mit Argentinien, Serbien und den Niederlanden wohl kaum stark genug. Trotz Chelsea-Star Didier Drogba. Und Tunesien? Die Gegner Spanien und Ukraine haben zwar ihre Qualitäten. Für die soliden Nordafrikaner liegen sie trotzdem in Reichweite. – All das ist für den Sommer.

Nun aber zur Afrika-Meisterschaft in Ägypten. Es handelt sich um das heuer zweitwichtigste Ereignis im internationalen Fußball-Kalender. Wie bei unserer Euro 08 streiten 16 Teams um die Krone des Kontinentalmeisters. Gespielt wird in sechs Stadien in den Städten Kairo, Alexandria, Port Said und Ismailia. Für die WM in Deutschland bietet das Turnier wertvolle Aufschlüsse. Kein Wunder, dass es von Natitrainern aus aller Welt geradezu wimmelt. Von Spielervermittlern (mehrere Schweizer!) übrigens auch. Das ist normal in Afrika. Was aber läuft auf dem Spielfeld?

Über die letzten Jahre hinweg hat sich der afrikanische Fußball konsolidiert. Vor allem die westafrikanischen Teams aus Kamerun, Senegal, Guinea und Nigeria sind solide geworden. – Aus diesem Quartett ist jedoch niemand bei der WM dabei. Da können die europäischen und südamerikanischen Favoriten schon mal aufatmen. Die Schweiz auch.

Ein Fazit nach der Vorrunde: Die Spitzeteams Afrikas verkörpern gute internationale Mittelklasse. Wenn sie in Vollbesetzung antreten, bringen sie auch europäische Topteams ins Wanken. Fünf Plätze hat Afrika an der WM. Nur zwei der Qualifizierten überstanden die Gruppenspiele: Tunesien und die Elfenbeinküste.

 

In Afrika fehlt die Infrastruktur

Das Hauptproblem in Afrika ist und bleibt die mangelnde Infrastruktur. Da helfen auch Unterstützungsprogramme der Fifa und der Uefa wenig. Funktionäre und Regierungsvertreter wursteln vor sich hin. Millionen versickern. Die Verbände strampeln zwischen Korruption und Hysterie. Da nützt auch ein riesiges Potential an Talenten nichts. – Alle hoffen auf die WM in 2010 in Südafrika. Der Glaube auf den kommenden Boom ist trügerisch. Er wird nicht kommen. Leider. Auch die zusätzlichen Mittel werden versickern. Leider. Das grosse Geld fliesst in Afrika vielfach in die falschen Taschen. Leider.

 

Die Kamerun-Gruppe (mit unserem WM-Gegner Togo)

Die bislang überzeugendste Mannschaft ist wohl Kamerun. Die „unzähmbaren Löwen“ haben den dritten Titel seit dem Jahr 2000 im Visier. „Dompteur“ ist Artur Jorge, der Portugiese mit dem grossen, dunklen Schnauz. In der Schweiz hatte er als Nachfolger des legendären Roy Hodgson sein Glück nicht gefunden. Der „Blick“ schickte ihn zur Hölle; das ist zehn Jahre her. In Kamerun wird er vergöttert. Wie schon sein Vorgänger, der Deutsche Winnie Schäfer. Obwohl er sich nicht für die WM qualifizieren konnte, wurde er nicht vorzeitig in die Wüste geschickt. Ein afrikanisches Wunder!

In der Verteidigung ist Rigobert Song ein solider Rückhalt. Er spielt jetzt bei Galatasaray Istanbul. „Ich liebe die Türkei, hier ist vieles so chaotisch, fast wie in Afrika.“ Vor ein paar Jahren stand er beim 1. FC Köln unter Vertrag. Der neue Trainer Hanspeter Latour nähme ihn wohl mit Handkuss zurück. Der Ex-Basler Atouba spielt solide. „Prinz“ Jean Makoun II setzt dem Mittelfeld die Krone auf. Samuel Eto'o, der Torjäger vom FC Barcelona, ist ohnehin einer der besten Spieler der Welt. In den drei ersten Partien buchte er fünf Mal!

Da spielte ein starkes Team in einer mittelmässigen Gruppe. Enttäuschend die WM-Teilnehmer aus Togo und Angola. Beide schafften den Sprung in die zweite Runde nicht. Togo gehörte gar zu den schwächsten Teams des Turniers und verlor alle drei Partien. Torverhältnis 2 : 7! Unser WM-Gegner gehört klar nicht zu den afrikanischen Top-Teams. Das Kader ist viel zu unausgeglichen besetzt. Mehr zu Togo im separaten Kästchen.

Bei Angola ist die gepflegte portugiesische Schule zwar sicht- und spürbar. Doch die individuelle Klasse geht der Mannschaft ab. Zudem fehlt noch die Konstanz. Es reichte für vier Punkte, nicht aber fürs Weiterkommen.

Die Kongolesen spielen heute top und morgen flop. Roma-Star Shabani Nonda, der Ex-Topskorer des FCZ, ist nicht dabei. Nach einer Verletzung angeblich rekonvaleszent. Dank einem kecken LuaLua reichte es trotzdem für die Viertelfinals. Ob gegen die Gastgeber aus Aegypten noch mehr drinliegt? Ich zweifle daran. Yverdon-Stürmer Biscotte wird wohl bald zurück sein. DR Kongo heisst „Demokratische Republik Kongo“. Das interessiert die britischen Journalisten nicht. Für sie heisst die Mannschaft einfach „Dr. Congo“, also „Doctor Congo“. Apropos Doktor: Medizinmänner sind en masse zugegen. Wie immer, wenn afrikanische Teams aufeinander treffen. Das eigene Team verzaubern, den Gegner entzaubern. So lautet offenbar das Motto.

Coach Claude LeRoy (1998 mit Kamerun im WM-Viertelfinale, mit verschiedenen Teams fünf Mal an der Endrunde der Afrika-Meisterschaft) ist wütend. Ein aufrichtiger Typ, der klare Worte braucht. Dem Franzosen geht nicht die Zauberei auf den Wecker, ihn stören die Manager und die Politiker: „Ich liebe den Fussball, aber ich hasse das Drumherum. Agenten verdrehen den Jungs den Kopf. Agent ist sowieso eine völlig falsche Bezeichnung. Das sind Sklavenhändler! Die knallen den bitterarmen Familien ein paar Dollarnoten auf den Tisch und nehmen den jungen Spieler mit. Eine Sauerei! Hier am Turnier ist es noch schlimmer. Mindestens ein Dutzend dieser schmierigen Typen tänzeln um Tresor Mputu, das 20-jährige Supertalent. Eine halbe Stunde vor dem Spiel wedeln die Idioten noch mit ihren dreckigen Scheinen!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Ausser vielleicht: Den andern Trainern geht es kaum besser.

Spielervermittler sind ein Problem, Staatschefs auch. Eine Viertelstunde vor dem entscheidenden dritten Gruppenspiel verhandelte Starspieler LuaLua mit Präsident Joseph Kabila! „Er gab uns sein Wort, dass es mit den Prämien klappen würde. Ich bin sicher, dass er zu seinem Wort stehen wird. Zudem wünschte er uns viel Glück für das Spiel.“ Ob sich Bundespräsident Leuenberger die Handynummer von unserem Naticaptain Vogel schon notiert hat?

 

Die Ägypten-Gruppe

Einen starken Eindruck machte die Gruppe mit den Gastgebern und ihren schwierigen Kontrahenten Marokko und Elfenbeinküste. Die Spiele standen jeweils auf des Messers Schneide.

Die Elfenbeinküste hat sich mit zwei recht glücklichen Siegen vorzeitig qualifiziert. Auch dank Didier Drogba von Chelsea, dem zweiten wirklichen Weltstar neben Eto’o. Andere Superstars haben sich mit verschiedenen Ausreden „abgemeldet“. Damit müssen die afrikanischen Nationalcoaches leben. Auch Henri Michel, Trainer der „Elefanten“. Knapp zwanzig Jahre sind es her, seit er die Franzosen ins WM-Halbfinale führte.

Gut im Strumpf ist Gruppensieger Ägypten. Die Mannschaft vom Nil läuft mehr oder weniger mit der Mannschaft von Al-Ahly auf, dem FC Bayern vom Nil. Verstärkt mit dem Tottenham-Bullen Mido. Ein richtiger Sturmtank. Mit dabei auch die ägyptische Legende Hossam Hassan. Der Mann mit den meisten Länderspielen weltweit. Schon vor dem Turnier hatte er 166 Nati-Einsätze auf dem Buckel! Bereits sieben Mal hat er bei der Afrika-Meisterschaft für die „Pharaonen“ teilgenommen. Vor Jahren kickte er (eher launisch) bei Neuchâtel Xamax.

Die Spiele von Marokko waren schön anzusehen. Nur – im Sturm lief nichts. Kein einziger Torerfolg. Die „Löwen vom Atlas“ erreichten nur zwei Unentschieden und schieden aus.

Ein Außenseiter blieben Ghaddafis eher zufällig qualifizierte Libyer. Neben schönen Bärten boten die Nordafrikaner auch einen anständigen, kultivierten Fussball. „Les Verts“ werden sie genannt. Etwas grün war auch die Taktik. Es reichte zu einem Punkt aus drei Spielen. Leider randalierten die unzufriedenen Fans massiv. Nur 10'000 Dollar Busse für den Verband. Glück gehabt. Oder gute Beziehungen?

 

Die Senegal-Nigeria-Ghana-Gruppe

Senegal ist wieder erstarkt. Das Team hinterliess in der Gruppe mit Nigeria und Ghana einen soliden Eindruck. Technisch stark und ausgeglichen. Kein Team, das wie zum Beispiel Schweiz-Gegner Togo von einem oder zwei launischen Semi-Stars lebt.

Der Senegal ist im übrigen prototypisch besetzt. Ganz viele Spieler aus Frankreich, einige Akteure aus der englischen Liga. Darunter Henri Camara, Ex-GC-Star und heute Teamkollege von Stéphane Henchoz. Ein weiterer kickt in Italien.

Die allermeisten afrikanischen Internationalen kommen aus diesen Ländern. Andere verdingen sich in Deutschland. Neun davon in der Bundesliga. Sie fehlten beim Saisonauftakt vom letzten Wochenende. Spanien, Türkei, Portugal, Holland, Griechenland, Belgien, Russland, Ukraine, Schweiz, Schottland und Serbien. Auch diese Ligen beschäftigen afrikanische Nationalspieler. 

Dann gibt es Legionäre in Afrika selbst. Sie finden sich in Tunesien und Ägypten. Vor allem aber in Südafrika. Die Ligen der Geldspeicher Qatar und Kuwait beschäftigen weitere Spieler. Auch in Israel finden die Kicker Arbeit.

Doch zurück zu den Gruppenspielen: Nigeria, der heimliche Fußball-Herrscher des Kontinents, dominierte mit drei Siegen. Keine Nachwehen von der verpassten WM-Qualifikation? Fast schon traditionell sind die teaminternen Streitigkeiten. Werden die „Super Adler“ aber trotzdem zum grossen Flug Richtung Titelgewinn ansetzen? Die Rolle von Jay-Jay Okocha hat Inter-Mailand-Star Obafemi Martins (letzte Saison 22 Goals in der Serie A) übernommen. Das 20-jährige Juwel hat bei den Italienern kürzlich bis 2010 verlängert.

WM-Teilnehmer Ghana scheiterte im letzten Spiel kläglich. Zu defensiv die Taktik. Ein 6-Mann Catenaccio, wie ihn selbst die Italiener nicht besser beherrschen. Keine Qualifikation, trotz Stars wie Ex-Bayern-München-Verteidiger Sammy Kuffour. Er konnte allerdings bei der entscheidenden dritten Spiel gegen Simbabe nicht mittun. Vorne sollte es Matthew Amoah richten. Er spielt neu bei Borussia Dortmund.

Simbabwe hielt sich in dieser Poule ansprechend. Zum Schluss versalzten die Ostafrikaner sogar dem grossen Ghana die Suppe. Obwohl die besten Legionäre in China und bei Jahn Regensburg (D) kicken oder gar ohne Klub sind.

 

Die Tunesien-Gruppe

Bleibt noch die Gruppe mit Titel-Verteidiger Tunesien. In Afrika kennt man das Team als die „Adler von Karthago“. Eine solide Mannschaft. Taktisch gereift. Französische Schule, spielerisch stark. Allerdings greift der 40jährige Torhüter öfters mal daneben. Der Ex-Frankreich-Coach Roger Lemerre muss ihn immer wieder aufbauen. Auf dieser Position besteht für die WM noch Handlungsbedarf. Vorne gibt es mit Jaziri und Dos Santos ein gut harmonierendes Sturm-Duo. Der Brasilianer schoss die Tunesier schon vor zwei Jahren zum Titel. Hier erzielte er schon im ersten Spiel einen Hattrick. Zu diesem Zweck hat ihn Staatspräsident Ben Ali damals kurzfristig eingebürgert…

Zur Ueberraschung vieler schaffte auch Guinea die Qualifikation, und zwar problemlos. Nach zwei Spielen war schon alles klar. Zum Schluss fegten sie gar die – ebenfalls schon qualifizierten – Tunesier mit 3 : 0 vom Platz. Sambia stellt ein gutes, braves Team der afrikanischen B-Klasse. Etwa auf dem Niveau von Togo, Angola, DR Congo oder Simbabwe.

Eine Riesenenttäuschung war das Team aus Südafrika. Die „Bafana-Bafana“, schwach und mit drei Niederlagen sang-, klang- und torlos ausgeschieden. Und auch bei der WM in Deutschland nicht dabei. – Keine gute Werbung für die WM 2010 im eigenen Land!

Das Team vom Kap enttäuscht seit Jahren. Trotz x-facher Reformen und personeller Auffrischungen. Trotz der attraktivsten Liga des Kontinents. – Ein weiterer Richtungs-Wechsel steht an. Der 69jährige rumänische Trainer Dumitru kann seine Koffer packen. Vor dessen offiziellen Entlassung schon liess der ehemalige Kapitän Mark Fish folgendes verlauten: „Spieler des Meisterteams von 1996 wie ich und Phil Masinga sollen den künftigen Coach auswählen!“ Ob sie einen Volltreffer landen? Oder daneben schiessen? Als Massinga vor zehn Jahren als „Starstürmer“ zehn Mal für den FC St. Gallen zum Einsatz kam, fand er das Tor nur ein Mal. Der Rest: Fehlschuss um Fehlschuss.  

Roland Rino Büchel

 

Der Autor

Der Rheintaler Roland Rino Büchel ist als ehemaliger Direktor der CAF Marketing ein Kenner des afrikanischen Fussballs und der lokalen Verhältnisse. (Die CAF entspricht der europäischen UEFA). In dieser Rolle zeichnete er auch zuständig für die Afrika-Meisterschaft Mali 2002. Bei der ISL/Fifa-Marketing war er unter anderem für die Afrika-Meisterschaften und die Junioren-Weltmeisterschaften zuständig.

 

Togo, WM-Gegner der Schweizer Nati

Bei Togo dominiert das Ego des einzigen internationalen Star-Talents Sheyi Adebayor. Er hat den Wechsel von Monaco zu Arsenal offenbar noch nicht verkraftet. Zusammen mit seinen Kameraden hat er Kairo bereits verlassen, zurück zu den jeweiligen Klubs. Yao Aziawonou wird weiterhin bei den Berner Young Boys bleiben. Für Junior Senaya geht es  mit YF Juventus weiter. WM-Vorbereitung in der Challenge League gegen Mannschaften wie Baulmes, Baden, Meyrin und Wohlen.

Weiter im Team ist auch ein Spieler der 4. französischen Liga. Schafft es der Mann auch an die WM? Köbi Kuhn könnte damit wohl leben. Er ist ja nicht verpflichtet, im Gegenzug Rheintaler Amateur-Kicker in sein WM-Kader aufzunehmen! – Auf dem grünen Rasen war von den Togolesen nicht viel zu sehen. Beim Feilschen um die Antrittsprämien waren die Spieler hingegen erfolgreich. Für den kläglichen 270-Minuten-Job in drei Partien holten sie mehr heraus als ein togolesischer Nichtfussballer mit harter täglicher Arbeit in seinem ganzen Leben verdienen kann.

Ob der sympathische Natitrainer Stephen Keshi die „Sperber“ auch bei der WM betreuen wird? Ich tippe auf ein Nein. Denn – die Gegner im Verband haben die Messer bereits gewetzt. Es wird ganz heiss für den Coach. Warum? Verbandsboss Rock Gnassingbé ist der ältere Bruder des Staatspräsidenten. Beide sind umstritten. Aber beide sind an der Macht. Nur das zählt. Vor allem in Afrika.

Der Verband soll schon vor(!) dem Turnier mit französischen Trainern Kontakt aufgenommen haben. Keshi meinte zu mir: „Dieses Turnier ist für uns vorbei, jetzt geht es an die WM. Unter meiner Führung? Ich weiss es nicht. Viele wollen meinen Job. Aber wo bitte waren all die gierigen Typen, als sich Togo noch nicht für Deutschland qualifiziert hatte? Diese Frage darf ich wohl stellen, oder?“ Selbstverständlich. Und – wenn er mit Schimpf und Schande entlassen wird, kann er sich den ihm zustehenden Lohn wohl auch noch ans Bein streichen. So funktioniert Afrika. 

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