ISL-Milliardenkonkurs: Keine Verluste für die St. Galler KB und die FIFA

veröffentlicht am Dienstag, 15.04.2008 14.00 Uhr

stadt24.ch


stadt24.ch - Roland Büchel zum ISMM-ISL-Milliardenkonkurs

Vor dem Zuger Strafgericht wurde die zweitgrösste Schweizer Pleite aller Zeiten aufgearbeitet. Ab 1989 gab es Schmiergeldzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe, zum Schluss gingen Milliarden bachab. Fünf Schweizer Kantonalbanken stecken tief im ISL-Schlamassel. Auch die St. Galler Kantonalbank?

In meiner Funktion als Kantonsrat habe ich diese Frage schon vor Jahren gestellt. Und zwar an den ausseramtlichen Konkursverwalter Thomas Bauer. Doch dieser unternahm alles, um keine Antwort liefern zu müssen.

Was heisst das konkret?
Der Konkursverwalter gab nicht nur keine Antworten. Wenn Gläubiger kritische Fragen stellen wollten, hat er ihnen sogar die Akteneinsicht verwehrt. Dies, obwohl jeder, der aus einer Firmenpleite etwas zu gut hat, ein Recht darauf besitzt.

Nochmals konkret zu den Kantonalbanken. Die „Nichtauskunft“ hat doch zur Folge, dass die Bürger als Haupteigentümer der involvierten Kantonalbanken nicht wissen, ob auch sie wegen des faulen 277-Millionen-Kredits massiv Geld verloren haben?
Ja. Ich musste andere Quellen anzapfen, um mich zu informieren. Nur so konnte ich in Erfahrung bringen, dass dem Kreditkonsortium unter der UBS tatsächlich fünf Kantonalbanken angehörten: diejenigen aus Zürich, Zug, Luzern, Genf und der Waadt. St. Gallen ist offenbar nicht dabei. Das hat mich beruhigt.

Kantonalbanken haben in früheren Fällen schon Milliardenverluste hinnehmen müssen. Immer auf Kosten der Steuerzahler. Ist davon auszugehen, dass es in den kantonalen Parlamenten kritische Fragen geben wird?

Das kann ich Ihnen nicht sagen; ich bin Kantonsrat in St. Gallen. Unsere Staatsbank hatte mit dem lausigen Finanzdeal offenbar nichts zu tun. Bei uns braucht es deshalb keine Fragen. Ich gehe davon aus, dass die Parlamentarier in den betroffenen fünf Kantonen wissen, was sie zu tun haben.

Zurück zum Crash der Unternehmensgruppe im Mai 2001 und den langen Jahren seither: Ist es nicht die Hauptaufgabe eines Liquidators, möglichst viel für die Gläubiger herauszuholen?
Selbstverständlich. Aber offenbar wollte Bauer gar keinen anständigen Job machen. Es ist deshalb ein Segen für alle, dass er sein hervorragend entschädigtes Amt per Gerichtsentscheid auf Ende 2005 abgeben musste. Leider konnte er bis dahin jahrelang im Stillen vor sich hinwerkeln. Er agierte zum Teil so absonderlich, dass Juristen und Journalisten von „Korruptionsverdunkelung“ schreiben mussten.

Es steht in den Gerichtsakten, dass die ISL von 1989 bis zum Konkurs im Jahr 2001 eine ganze Anzahl Personen mit mindestens 138 Millionen Franken geschmiert hatte. Das waren Zahlungen für den so genannten „Rechte-Erwerb“. Wer musste denn bestochen werden, damit die ISMM/ISL an die TV- und Marketingverträge mit den weltgrössten Sportverbänden kam?
Viele wissen vieles. Aber nur einer weiss alles. Das ist der Hauptangeklagte Jean-Marie Weber. Doch er macht von seinem Schweigerecht Gebrauch. Andere Angeklagte bestätigten vor Gericht: „Diese Praxis (des Schmierens) war unerlässlich, sie gehörte zum Stil des Geschäfts. Sonst wäre der Bestand des Unternehmens nicht möglich gewesen. Ohne das ging es nicht.“

Haben wenigstens die anderen fünf Angeklagten Namen von gekauften Sportfunktionären genannt?

Nein.

Hat Jean-Marie Weber einen Teil vom Geld für sich behalten, oder war gar ein „ganz grosser Fisch“ wie Fifa-Präsident Sepp Blatter einer der Endempfänger?
Durch Webers Schweigen entstehen Gerüchte. Das ist logisch und verständlich. Ähnliche Fragen wurden schon zu Beginn des Prozesses gestellt. Ich bleibe dabei: Diese beiden Männer haben sich an den 138 geschmierten Millionen nicht bereichert. Und ich würde sogar sagen und es doppelt unterstreichen: garantiert nicht!

Wie sieht es bei den Funktionären auf den Hierarchiestufen unter Sepp Blatter aus?

Darunter hat es Leute, für welche niemand seine Hand ins Feuer legen würde. Es gibt sogar Personen und Firmen in Südamerika, in der Karibik und im Nahen Osten, welche als Endempfänger aktenkundig sein sollen.

Besteht die Hoffnung, dass diese und all die anderen Namen je öffentlich bekannt werden? Die Leute decken sich doch gegenseitig. Und der Volksmund sagt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Das ist ein schönes Bild. Unter den Empfängern hat es jedoch andere Vögel. Nämlich Geier. Die fressen sich gegenseitig alles weg, die wollen alle selbst satt werden. Mehr noch, weil es in Zukunft weniger zu greifen gibt als bisher. Ich stelle mir vor, dass bald schon eine Dynamik entsteht, welche die Mauer des Schweigens zuerst zum Bröckeln und dann zum Einsturz bringen wird.

Vorletzte Woche gab es eine grosse „Blick“-Reportage des bekannten Berliner Enthüllungs-Journalisten Jens Weinreich zum ISL-Konkurs. Sie sagten bereits dort, dass Köpfe rollen würden.

Erstens: Ich bin durchaus positiv überrascht, dass der „Blick“ einen solchen Mann überhaupt engagiert hat. Zweitens: Einige Funktionärsköpfe sind bereits gerollt. Nur hat man in der Öffentlichkeit nicht gemerkt, dass der ISMM/ISL-Skandal der Hauptgrund dafür war. Selbstverständlich werden weitere Köpfe rollen. Da habe ich null Zweifel. Ich habe schon mehrmals gesagt, dass dieser Prozess die Sportwelt heftiger durchschütteln würde als alle bisherigen Affären zusammen. Davon bin ich jeden Tag mehr überzeugt.

Letzte Woche titelte die „SonntagsZeitung“: „Schmiergeld: Joseph Blatter kommt unter Druck – Justiz und ISMM-Angeklagte wollen wissen, wer Schmiergeld zurückbezahlt hat.“

Es war ein Artikel, dem offenbar viele Belege und Insiderkenntnisse zugrunde liegen. Im Fifa-Gebäude muss es zahlreiche Lecks geben. Trotzdem denke ich nicht, dass der Fifa-Präsident selbst Federn lassen muss. Aber er steht jetzt unter einem gewaltigen Druck. Das ist klar.

Das eigentliche Schmieren ist also kein Problem für die Schweizer Justiz, die Rückzahlung von 2.5 Millionen jedoch schon?

So ist es. Ich kann gut verstehen, dass man das nicht verstehen kann…

Vom „Blick“ bis zur „NZZ“ scheinen die Zeitungen vom „Enthüllungs-Fieber“ gepackt. International ist es ähnlich.
Diesen Eindruck habe ich auch. Bis anhin waren es nur wenige Autoren wie der Brite Andrew Jennings, die beiden Deutschen Thomas Kistner und Jens Weinreich (www.jensweinreich.de) sowie Jean-François Tanda von der „SonntagsZeitung“, welche sich eingehend mit der Schmiergeldproblematik im Sport auseinandersetzten. Dies hat sich geändert. Jetzt analysiert auch die „NZZ“, dass diese Schmiergeldzahlungen sportpolitisch von grosser Bedeutung seien. Sie würden ein System offenlegen, das immer wieder als Hirngespinst allzu kritischer Journalisten abgetan wurde.

Schon letztes Jahr verlangte das Bundesstrafgericht von den Behörden des Kantons Zug, dass die zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen seien. Die „SonntagsZeitung“ hat dies unlängst enthüllt. Handelt es sich dabei um diese Schmiergelder?

Das Bundesstrafgericht hat am 19. Dezember 2007 gesagt, dass die Zuger Justiz die „strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen“ hätte. Hier geht es um die mittlerweile berühmte Schmiergeld(rück)zahlung von 2.5 Millionen Franken. Es überrascht nicht nur mich, dass man von der Zuger Staatsanwaltschaft bis heute nichts davon vernommen hat!

Die ISL zog die Korruptionszahlungen sogar von den Steuern ab. Da müssen die Empfänger doch bekannt sein.

Das wäre eigentlich logisch. Die „NZZ“ hat zu diesen Bakschisch-Zahlungen geschrieben, „dass Jean-Marie Weber wahrscheinlich am besten Bescheid weiss und die angeblich illustren Namen auswendig kennt, die auf der vielzitierten, bis anhin verschwundenen Liste mit den vor Gericht öffentlich gemachten Schmiergeldzahlungen stehen.“

Eine verschwundene Liste? Wer könnte diese Liste denn gesehen haben und wie konnte diese verschwinden?
Das ist eine Frage, die ich dem abgesetzten Liquidator, Thomas Bauer, stellen würde. Von der dreistelligen Summe an Schmiergeldern hat er für die Gläubiger nur die erwähnten zweieinhalb Millionen zurückgeholt. Das sind keine zwei Prozent vom ganzen Kuchen! Dabei hat er erst noch einen Vertrag unterschrieben, der den Geschmierten auf immer und ewig die Anonymität zusichern soll. Was für eine lausige Leistung!

Hat sich vor Gericht denn niemand zu Bauer geäussert?
Doch, da gab es deutliche Worte. Zum Beispiel vom Rechtsanwalt, welcher Jean-Marie Weber vertritt: „Ein Wunder, dass der ausseramtliche Konkursverwalter (Bauer) nicht der Gehilfenschaft zu betrügerischem Konkurs angeklagt wird“, gab er zu Protokoll.

Die Vorwürfe gegen die anwesenden Personen lauteten auf Veruntreuung, mehrfache Gläubigerschädigung, Erschleichung einer Falschbeurkundung und Betrug.

Ja, das stimmt im Fall von Jean-Marie Weber. Wie die fünf Mitangeklagten versuchte der Boss der ehemaligen ISMM/ISL mit Hilfe seines Anwalts, die Vorwürfe zu entkräften. Das ist sein gutes Recht. Wie auch sein Entscheid, vor Gericht keine Aussagen zu machen.

Wie lief die „heisse Phase“ der Strafgerichtsverhandlung ab?
In den letzten Tagen kamen vor allem die Anwälte der Angeklagten zu Wort. Sie zerzausten die Anklage der Staatsanwaltschaft. Es war ein konzertierter Gegenangriff der Staranwälte auf den verunsicherten Staatsanwalt Marc von Dach.

Gibt es berechtigte Gründe für die Angriffe auf Untersuchungsrichter und Staatsanwalt, oder handelt es sich einfach um ein übliches Techtelmechtel unter Advokaten?
Das ist schwer abzuschätzen. Die hoch bezahlten Spezialisten kennen ihr Metier von Grund auf. Der Staatsanwalt hingegen machte in mehr als einer Situation den Eindruck, nicht auf der Höhe seiner Aufgabe zu sein.

War bei den Angeklagten auch Taktik und Berechnung im Spiel? Oder sprachen sie einfach ihre ehrlichen Gefühle aus?
Einer der Beschuldigten, ein Mann mit HSG-Studium, sagte zum Schluss zur leitenden Richterin: „Ich war noch nie so bitter wie heute. Die vorgenommene Beugehaft war staatliche Gewalt gegen mich als Individuum, reine Willkür! ... Ich habe keine unethischen und schon gar keine strafrechtlichen Handlungen gemacht.“ Dieser Mann war allerdings schon zu ISL-Zeiten für seine grossartigen Auftritte bekannt. Er wurde dann auch fristlos entlassen. Nun will er von den Schweizer Steuerzahlern entschädigt werden.

Verhielten sich alle Beschuldigten auf diese Weise?
Nein. Sonst handelt es sich um fünf kultivierte, anständige Männer mit einem gepflegten Umgang. Allen voran nenne ich dabei Jean-Marie Weber. Das sind keine Monster. Die schmierigen und geldgierigen Typen befinden sich weniger unter den „Spendern“. Diese hocken zum grossen Teil auf der andern Seite, also unter den Empfängern der anonymen Millionen.

Wie traten diese fünf Angeklagten vor Gericht auf?

Da gab es verschiedene Strategien. Zwei schwiegen beharrlich. Die anderen drei gaben Auskunft zu den gestellten Fragen. Ich hatte den Eindruck, dass sich alle fair und anständig verteidigten. „Vollgas“ gaben sie erst in den Schlussvoten. Alle plädieren auf Freispruch und die Übernahme sämtlicher Kosten durch den Staat.

Wie viel Geld soll der Staat bezahlen?

Die Verteidigungs- und Entschädigungskosten sind noch nicht bekannt. Ich schätze, dass es um Millionen geht. Der ähnliche „Fall Swissair“ könnte ihnen als Referenz dienen.

Warum glauben die Ex-Manager, dass sie unschuldig seien und ein Recht auf Entschädigung aus Steuergeldern hätten?
Einer der Angeklagten, ein Belgier, sagte: „Ich musste mich kneifen. Es ist ein Albtraum. Warum sind wir hier? Es hat nichts mit unseren Fähigkeiten zu tun. Der einzige Grund ist, dass uns die Fifa kaputtmachen wollte.“ Für die ehemaligen ISL-Bosse trägt die Fifa, der internationale Fussballverband, alle Schuld am Untergang ihrer Unternehmung.

Wirklich? Gaben denn die Anwälte aller sechs Angeklagten und die Beschuldigten selbst der Fifa die Schuld am Zusammenbruch der ISL/ISMM-Gruppe?
Die Beschuldigten sehen sich als Opfer und nicht als Täter. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Der ehemalige Verwaltungsratspräsident, ein distinguierter Gentleman aus Deutschland, appellierte an die Richter: „Das ist ein Schauprozess. Als Gericht können Sie dem Unrecht und dem erlittenen Leid ein Ende setzen!“

Weshalb wählten sie allesamt eine Strategie des Gegenangriffs?
Warum sie das taten, kann ich nicht sagen. Doch die Konterattacken waren massiv. Abgesehen vom Staatsanwalt bekam auch Thomas Hildbrand, der Ermittler, sein Fett weg: „Wollte der Untersuchungsrichter auch so viel in der Zeitung kommen wie sein Verwandter aus Visp?“ Mit dieser Frage verabschiedete sich der letzte CEO der konkursiten Firma vom Strafgericht.

Was will er damit sagen? Können Sie das genauer erläutern?
Fifa-Präsident Sepp Blatter stammt aus Visp im Wallis. Der Untersuchungsrichter ursprünglich auch. Die beiden sollen um ein paar Ecken miteinander verwandt oder verschwägert sein. Es gibt Angeklagte, die vermuten, dass die Unabhängigkeit des Ermittlers deshalb nicht gewährleistet sei.

Die Staatsanwaltschaft fordert Gefängnisstrafen von bis zu viereinhalb Jahren.
Offenbar gehen sowohl der Untersuchungsrichter als auch der Staatsanwalt nicht von Bagatelldelikten aus. In den rund 80 voll gepackten Ordnern des Untersuchungsrichters steckt anscheinend einiges.

Auf wann ist das Urteil zu erwarten?
Strafrichterin Carole Ziegler ist die Vorsitzende des Dreiergremiums. Sie hat die Eröffnung des Entscheids auf den 2. Juli 2008 angekündigt. Ich werde dann in Zug dabei sein.

Eine letzte Frage noch. Das Zuger Strafgericht wird seinen Entscheid demnach erst drei Tage nach dem Finalspiel der Euro 08 treffen. Ist das Zufall oder nicht?
Diese Frage ist ganz interessant. Dazu können Ihnen andere Leute besser Auskunft geben. Solche, die mehr Einfluss haben und in taktischen Spielchen geübter sind als ein ganz normaler Kantonsrat aus St. Gallen...

Alle Aktuellbeiträge